8 Enklave

Die Episode des Maschinenangriffs hatte sie zusammengeführt, mit einem neuen Verständnis. Die Flecken waren eng miteinander verbunden - und OX verband sich mit ihnen. Dec, der mobile Gestaltwechsler. Ornet, der stabile Bewegliche. Bab, hilflos. OX, variabel und mobil.

Die drei Flecken benötigten für ihre Energie gasförmige, flüssige und feste Materie, um sie verarbeiten zu können. Die Vorstellung war trotz OX' neuen, umfassenden Klarstellungsschaltungen fibrillierend eigenartig. Sie brauchten unterschiedliche Mengen dieser Materieaspekte in unterschiedlichen Formen und Kombinationen. Aber letzten Endes war alles doch verständlich, denn ihr ultimatives Bedürfnis war Energie, und auch OX benötigte Energie. Sie bezogen sie aus Materie, er aus Elementen. Energie war das gemeinsame Erfordernis zum Überleben.

Konnte die Verarbeitungsmethode der Flecken OX' Notwendigkeit angepaßt werden? JA. Denn als OX handelte, um das Wohlbefinden der Flecken zu fördern, wurden seine Elemente stärker. Er hatte dies schon festgestellt, bevor die Maschine angriff. Wenn er die

Flecken mit ihrer Notwendigkeit versah, halfen sie den Pflanzen, die wiederum ihre Elemente stärkten. Aber der spezifische Mechanismus war nicht augenscheinlich.

OX konzentrierte sich und experimentierte mit geringfügigen Verschiebungen innerhalb des alternativen Gefügesystems. Allmählich wurde die Vorstellung klarer. Die Fundamente der Pflanzen waren in gewissen Alternativen verwurzelt, versahen in anderen ihre Elemente mit Blüten. Die Wurzeln benötigten Flüssigkeiten und gewisse Feststoffe. Die Blüten benötigten Musterbesetzung oder sie akkumulierten zuviel Energie und wurden unstabil. Ihre Energien würden überfließen und Chaos verursachen. Die Beschränkung dieser Energien durch die Muster hielt die Pflanzen unter Kontrolle, so daß sie gediehen. Die Pflanzen hatten sowohl Materie - als auch Energienotwendigkeiten, wobei die Flecken für das erste, die Muster für das zweite sorgten.

Die Flecken erfüllten auch noch einen anderen Zweck. Einer von ihnen, Ornet, besaß Wissen - einen Fundus fremder Informationen, der OX' Aufmerksamkeit fesselte, nachdem er einmal die adäquaten Schaltungen aufgebaut hatte, um einen ausführlichen Dialog mit diesem speziellen Flecken führen zu können. Diese Informationen gaben ihm nämlich Hinweise, die mit dem Überleben in Zusammenhang standen.

Ornet besaß eine Gedächtnisschaltung, die ganz anders war als OX' eigene. Aber OX ignorierte schwierige Vorstellungen jetzt nicht mehr so ohne weiteres. Das Überleben hielt ihn dazu an, Neues zu lernen. Ornets Gedächtnis sagte, daß sich seine Art seit sehr langer Zeit entwickelt und allmählich verändert hatte, wobei einige ihrer Aspekte fortwährend degenerierten und neu entstanden wie eine Reihe von selbst vergehender Ableger. So viel war verständlich.

Aber Ornets Gedächtnis sagte auch, daß es sehr viele weitere Kreaturen gab, anders als Ornet oder die übrigen beiden Flecken oder die Maschine, und daß sich diese ebenfalls ausdehnten, teilten und degenerierten. Dies war bedeutsam: eine Unzahl anderer Flecken. Aber nur die drei waren hier. Was war mit den anderen geschehen?

Ornet wußte es nicht. Es gab einige wenige in der Enklave, mobile Nichtintelligente, aber bei diesen handelte es sich nur um einen winzigen Bruchteil von denen, die er beschrieben hatte. Es befriedigte OX nicht, daß alle verschwunden waren. Sie schienen in einem anderen Gefügesystem existiert zu haben und mochten noch immer dort existieren. Wo war dieses Gefügesystem?

Weiterhin sagte Ornets Sinn, daß sich die Maschinen auf ziemlich ähnliche Art und Weise entwickelt hatten. Das wußte er schon von der Beobachtung der einen, die angegriffen hatte. Und Ornet sagte auch, daß sich OX selbst irgendwie aus einem anderen Muster entwickelt hatte.

Fremder Unsinn! Aber OX modifizierte seine Schaltungen und schuf die Annahme, daß all dies wahr sein mochte, und durchdachte die Logik bis zu gewissen eigenartigen Schlußfolgerungen.

Und doch fehlte irgend etwas. In dem Augenblick, in dem seine Spezialschaltung funktionierte, begriff OX, daß er sich als erstes Muster nicht hier entwickelt haben konnte. Er hatte seine Existenz erst kürzlich gewonnen, während die Pflanzen schon seit langer Zeit hier gewesen waren. Und wie sah es mit den Flecken aus? Sie alle waren ebenfalls jüngsten Ursprungs, wie OX. Selbst seine Spezialschaltungen konnten dies nicht als die einzige Realität akzeptieren.

Weil die Flecken seine Elemente stärkten, hatte sich OX' unmittelbares Überlebensproblem erledigt. Er konn- te es sich erlauben, über das Langzeit-Überleben nachzudenken. Tatsächlich mußte er dies sogar tun, denn das Überleben war nicht vollständig, bis alle Aspekte gespeichert waren. Kontrolle seiner unmittelbaren Umgebung reichte nicht aus. Gab es jenseits davon eine Bedrohung oder eine potentielle Bedrohung?

OX forschte so weit, wie er nur konnte. Sein Gebiet wurde an allen Seiten durch das fast völlige Fehlen von Elementen begrenzt. Er konnte nicht hinaus. Es gab lediglich immer schwächer werdende Elementketten, deren Umfang bis auf einige wenige Elemente im Durchmesser herabsank. Es war OX unmöglich, seine Existenz auf diesen aufrecht zu erhalten. Er benötigte ein gewisses Minimum, damit sein Muster funktionierte.

Er sandte seine Ableger regelmäßig über diese Ketten hinweg. Dies war ein Teil der Art und Weise, auf die er funktionierte. Die meisten waren von selbst vergehende Ableger, die von komplexeren Schaltungen stammten, einige waren ganz einfach sich selbst erhaltende Abstrahlungen. Einige wenige waren so konstituiert, daß sie zurückgekehrt wären, wenn sie eine tote Zone erreicht hatten. Keine kehrten wirklich zurück, was OX bewies, daß sich die Ketten bis in ein größeres Reservoir jenseits seiner Wahrnehmung fortsetzten.

Abstrahlungen waren dem Musterschema inhärent. Hätte eine andere Mustereinheit innerhalb von OX' begrenztem Gefüge existiert, wäre OX sich ihrer Gegenwart durch ihre eigenen Abstrahlungen bewußt geworden. Es war wesentlich, daß Muster nicht miteinander verschmolzen, denn dies bedeutete unausweichliches Chaos und Identitätsverlust für beide. Aufgrund der natürlichen Ablegerabstrahlung waren Muster in der Lage, ihre gegenseitigen Aufenthaltsorte abzuschätzen und funktionelle Entfernungen aufrecht zu erhalten. OX wußte dies, weil es seiner Struktur inhärent war. Wäre es anders, würde das Nichtüberleben bedeuten. Einmal hatte er auf die scheinbare Gegenwart eines anderen Musters reagiert, weil er auf fremde Ableger gestoßen war, sowohl selbst erhaltende als auch von selbst vergehende, aber Nachforschungen hatten . ergeben, daß es sich lediglich um Reflexionen seiner eigenen Projektionen handelte, die durch eine irreguläre Begrenzungslinie verzerrt wurden.

Er wußte, daß es andere Muster gab - irgendwo. Es mußte sie geben. Er war nicht per Zufall mit Ablegerinterpretationsschaltungen ausgestattet worden!

Vielleicht jenseits der Grenzketten? OX konnte ihnen nicht folgen - aber die Flecken konnten es. OX hielt einen Dialog mit Ornet, dem kommunikativen Flecken, ab. Er teilte ihm seine Notwendigkeit mit, über die Grenzen seines Gebiets hinweg zu forschen.

Ornet wiederum kommunizierte mit Dec, dem mobilsten Flecken. Dec bewegte sich schnell aus dem Bereich von OX' Wahrnehmungen. Als er zurückkehrte, signalisierte sein optischer Generator die Nachrichten: Dieses Gefüge, eins von den begrenzten Myriaden von Alternativen, die die Struktur von OX' Realität ausmachten, wies in der Tat andere Elementgliederungen auf. Dec hatte sie lokalisiert, indem er den Elementketten gefolgt war, denen OX nicht folgen konnte. Dec nahm diese Elemente nur unter Schwierigkeiten wahr, die jedoch umso geringer wurden, je mehr Praxis er bekam. In schwankenden physischen Distanzen, berichtete er, dehnte sich eine Anzahl von ihnen wieder in lebensfähige Reservoirs aus. Und in einem davon hatte Dec ein Muster entdeckt.

Die Nachrichten schleuderten OX in einen Strudel der Desorientierung. Hastig modifizierte er seine Schaltungen. Nun sah er durch Beobachtung seines eigenen Wesens und durch indirekte Beobachtung der externen

Umwelt bestätigt, daß er nicht die einzige Einheit seiner Art war.

Die anderen Muster mußten von ihm wissen. Seine Abstrahlungen, die die Länge der Elementketten ent- langwanderten, mußten sie von seiner Gegenwart unterrichten. Aber es war niemals ein Rückkehrimpuls gekommen. Das mußte bedeuten, daß die anderen ihre externen Signale dämpften. Die einzige Begründung dafür würde sein, daß sie eine Bedrohung abwehrten, eine Maschine, die Ableger entdeckte, oder ein musterverzehrendes, nichtintelligentes Muster. Oder aber sie verbargen ihre Gegenwart aus hintergründigeren, persönlichen Motiven. Gelegentlich dämpfte OX seine eigene Abstrahlung, wenn er nicht gestört werden wollte. Seine Schaltungen taten dies automatisch, und wenn er sie analysierte, zeigte sich, daß dies der Grund war. Tatsächlich war eine solche Dämpfung hier sinnlos, denn es gab keine Störmuster und die Flecken wurden nicht berührt: zusätzlicher Beweis dafür, daß OX von Natur aus ausgestattet war, in einer Gesellschaft von Mustern zu existieren, nicht allein.

Warum sollten sich andere Muster, die seiner bewußt waren, absichtlich vor ihm verbergen? Auf welche Weise war er für sie eine Bedrohung? Er war ein voll funktionierendes Muster und es lag nicht in seiner Natur, auf andere seiner Art störend einzuwirken. Die anderen Muster wußten dies mit Sicherheit; es war inhärent, war Überleben.

So etwas wie Ärger durchströmte OX. Da seine Natur nur auf Überlebens/Nichtüberlebens-Alternativen reagierte, war es keine Emotion, wie eine lebende Kreatur sie kannte. Aber es war eine akute, wenn auch unterschwellige Überlebenskrise.

Ein kompatibles Muster würde nicht auf die Weise gehandelt haben, wie es diese Muster dort draußen taten. Deshalb war ihre Gegenwart eine starke potentielle Bedrohung seines Überlebens.

OX sandte Dec zwecks einer nochmaligen, eingehenderen Beobachtung aus und schickte Ornet zu demselben physischen Ort in einem angrenzendem Gefüge. Die beiden Beobachter konnten sich gegenseitig nicht wahrnehmen, denn sie waren nicht in der Lage, die Alternativen zu. überkreuzen, und OX konnte keinen von ihnen beobachten, weil sie sich außerhalb seines Elementpools befanden. Aber dieses schwierige Kooperationsmanöver war entscheidend.

Ihr Bericht bestätigte, was OX geargwöhnt hatte.

Dec hatte beobachtet, wie ein Muster verging und die Stellen unbesetzt ließ. Dann war es, oder ein anderes, zurückgekehrt. Aber Ornets Örtlichkeit war vakant geblieben.

OX verstand dies, obwohl die Flecken es nicht taten. Das Muster wanderte durch die Gefüge. Aufgrund der Gestaltung des Pools, wie OX ihn erkundet hatte, wußte er, daß sich das fremde Muster entweder auf Ornet zu oder von ihm weg bewegen mußte. Es hatte sich von ihm weg bewegt. Und das bedeutete", daß sich der andere Elementpool jenseits von OX' eigenem Pool erstreckte, denn der seine reichte nicht weiter in diese Richtung.

Tatsächlich waren die anderen Pools vermutlich gar keine Pools. Sie waren Aspekte des größeren Gefügesystems. Das andere Muster war nicht so eingeschränkt, wie OX es war.

Sie hielten ihn isoliert, eingeschränkt, innerhalb der Grenzen einer Enklave, während sie sich selbst frei bewegten. Dies war, anhand der inhärenten Definition seiner Schaltungen, ein feindliches Verhalten.

OX sank in eine tiefe und heftige Desorientierung. Nur durch anstrengende innere Maßnahmen war er in der Lage, das Gleichgewicht wiederherzustellen. Dann bedurfte es schon einer bedeutsamen Entscheidung, um sein Wesen wieder vollständig in Ordnung zu bringen.

Er war durch die Handlungsweise von anderen seiner Art in die Gefahr des Nichtüberlebens geraten. Er mußte entweder hinnehmen, nach ihrem Belieben gestört zu werden, oder sich selbst darauf vorbereiten, die anderen Muster nach seinem Belieben zu stören. Er wählte das letztere. OX war zum Kampf bereit.